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Bayreuth | September 2015.

Beim Durchsehen meines Messer-Portfolios wird euch auffallen, dass man dort recht häufig den Begriff „Puddeleisen“ findet. Ich verwende es z.B. gerne bei Parierelementen oder Abschlüssen. Hier ein paar Beispiele:

Da es ein besonderes Material mit Herz und Seele ist, habe ich beschlossen, eine kleine Materialkunde zu verfassen.

Was ist Puddeleisen eigentlich?

Puddeleisen ist das Ergebnis des Puddelverfahrens, das im 19. Jahrhundert weit verbreitet war, um im Hochofen hergestelltes Roheisen in Stahl bzw. Schmiedeeisen umzuwandeln. Es wurde z.B. für Stab- und Profileisen, Bleche, Drähte und Besteck sowie in der Architektur eingesetzt. Das prominenteste Stück Puddeleisen dürfte der Eiffelturm in Paris sein.

Durch die Verschmelzung mit Steinkohle gelangte zu viel Kohlenstoff in die Schmelze, die mit diesem C-Gehalt nur als Gusseisen hätte verwendet werden können. Für Schmiedeeisen (mit max. ca 1,5% C) musste also Kohlenstoff entzogen werden. Da sich der C-Gehalt durch Oxidation mit Luftsauerstoff an der Oberfläche der Schmelze reduzieren ließ, musste für ausreichende Entkohlung ständig neues Material der Schmelze an die Oberfläche gelangen.

Der Puddler musste deswegen das Roheisen und die darauf schwimmende Schlacke mit einer langen Rühr- und Kratzstange umrühren (englisch to puddle), um den Kohlenstoff und die Eisenbegleiter zu verbrennen (zu oxidieren). Daher also der Name Puddeleisen.

Dass diese Arbeit extrem anstrengend und gesundheitsschädlich war, kann man sich vorstellen. Viele dieser Eisen-Arbeiter starben jung an Lungenkrankheiten – waren sie doch meist 12-16 Stunden am Tag in permanent ungesunder Umgebung tätig.

Wen spezielle Details zum Puddelverfahren interessieren, der wird bei Wikipedia fündig.

Ein Bericht des Journalisten und Sozialreformers Max Winter (1870-1937) über Eisengewinnung in einer österreichischen Hütte um 1900 beschreibt die Arbeit des Puddlers wohl sehr treffend:

„Die Arbeit beim Puddelofen ist eine fürchterliche. Der Puddler ist den größten Qualen ausgesetzt, und er ist dank dem Sparsystem dabei der gehetzteste Arbeiter. Während der Ofen im Gang ist, haben die fünf Arbeiter, die bei ihm zu thun haben, keinen Moment der Ruhe. Bald da, bald dort müssen sie zugreifen. Der Betrieb duldet keine Unterbrechung, und so können den Arbeitern kurze, viertelstündige Pausen von anderthalb zu anderthalb Stunden nur dann zugeführt werden, wenn sich die Werksleitung entschließen würde, die Puddlerpartie um einen Mann zu vermehren.

Die Leiden der Puddler, dieser Feuerarbeiter im vollsten Sinne des Wortes, die gleich den Glasmachern aus dem glühenden Bauch des Ofens glühende Masse ziehen und mit ihr hantiren müssen, die Leiden dieser Menschen sind es, die wir noch zu schildern haben. In der Zugluft einer offenen Thüre stehen wir, kaum fünf Schritt von dem Ofen entfernt. Die Situation ist unbehaglich: Vorne der heiße Hauch der Glühhitze, im Rücken die rauhe Nachtluft des Dezembers. Wir avanciren in die Nähe des Ofens und lehnen uns an die Mauer, um den Rücken zu decken. Im Schweiße ihres Angesichts rühren die Puddler den Eisensterz im Ofen, das Gesicht von der Einwirkung der strahlenden Ofenhitze hoch geröthet, und dabei umstreicht sie von der Seite her die kalte Dezemberluft, die bei den großen Thoren ungehindert ein- und ausströmen kann. Auch an den anderen Seiten des großen Hallenbaues sind die schweren Thüren offen.

Glühhitze und Zugluft, das kann der Körper nicht vertragen, und früher oder später muß dies zur Katastrophe führen. Als ich mit meinem Führer am nächsten Mittag in einem Schwechater Gasthaus saß und mit ihm die Erfahrungen der Nacht rekapitulirte, traf es sich, daß draußen auf der Straße ein Gespenst vorüberschlich. Ein hohlwangiger Mann, der beim Gehen in sich zusammenzuschliefen schien – so sehr verschwand er in dem hochgeschlossenen Winterrock mit aufgestülptem Kragen – kam draußen vorüber.
«Da geht g’rad a Puddler,» sagte mein Führer. «Da hab’n S’ a Beispiel, wie die Leut’ beim Puddelofen herg’richt’ wer’n. Vielleicht, daß er no’ den März oder April mitmacht …, und war so a Bärenmensch.»
Heute ist der Bärenmensch ein Opfer der Tuberkulose. Mehr Gespenst als Mensch schleicht er hin, den Tod vor Augen, der ihn bald erlösen wird. Seine Stelle beim Puddelofen ist längst ausgefüllt, und sinkt er hinab, dann wird auch seine Stelle unter den Opfern bald ausgefüllt sein….

Puddlerschicksal! Es wäre dringend Pflicht des Gewerbeinspektors, diese mörderische «Ventilation» abzustellen. Sie muß naturnothwendig immer neue und neue Opfer zeugen.“

Max Winter, Bei den Sklaven der „Alpinen“, Eine Nacht im Schwechater Werk,
Quelle: Österr. Metallarbeiter Nr. 51 vom 20.12.1900

Puddler bei der Arbeit, Fotografie, ca. 1919.
Quelle: National Photo Company Collection, Library of Congress. Formerly LOT 11509-510. Digital ID: cph 3b24674. Control number: 2002695622., Public domain, via Wikimedia Commons

Was macht für mich die Faszination aus?

  • Puddeleisen hatte seine Hochphase von ca. 1810 bis 1910. Anschließend wurde es durch effizientere Verfahren komplett verdrängt. Das bedeutet, ein Stück Puddeleisen ist immer etwas Historisches und immer über 100 Jahre alt. Mag ich alter Schmied irgendwie.
  • Das Stück Eisen in meiner Hand war schon mal „was anderes“, hat eine Vorgeschichte als Wagenrad, Eisenbahn-Gleisnagel oder Werkzeug – kurz: ist herrlich authentisch…!
    Dazu kommt der archaische Look durch die „faserige“ Struktur, die man durch Ätzen sicht- und fühlbar machen kann.
  • Und es ist irgendwie auch eine „Hommage“ an all die armen Kerle, die auf Kosten ihrer Gesundheit dieses Material schufen.

Woher nehmen, wenn nicht rühren?

  • Teils ganz banal von Kollegen gekauft.
  • Wenn ich mal unterwegs bin (und in Sammellaune), dann aus alten Mauerankern von abgerissenen historischen Gebäuden, aus alten Pferdewagen- und Kutschenachsen, etc.. Man muss nur wissen, worauf man achten muss.
  • Und – wieder so eine schöne Vorgeschichte – von uralten, schwedischen Wasserrohren.
    In Schweden gab und gibt es viele Kraftwerke, die Wasser von mit diesen Holzrohren verbundenen Seen und Flüssen zur Energiegewinnung nutzen. Diese haben ca. 2m Durchmesser und sind oft mehrere Hundert Meter lang. Wenn im Zuge von Modernisierungsarbeiten Holzrohre durch Metallröhren ersetzt werden, ist Jagdsaison für Puddeleisen-Liebhaber. So geschehen, als ein schwedischer Schmiedekollege von mir eine Menge ausrangierter Armierungsbänder von weit über 120 Jahre alten, hölzernen Wasserrohren kaufte (und mich anrief…).
    Hier ein paar Eindrücke:

Alles in allem ein wunderbares Material mit Herz und Seele…

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